Im Porträt:
Dirk Schäfer

„Schäfer rezitiert, spielt und singt sich die Seele aus dem Leib … Gänsehaut und stehende Ovationen.“

Sabine Tholunds Kritik in den Kieler Nachrichten zur Kieler Premiere von „Dirk Schäfer: Der Tod und ein Mädchen“ kann stellvertretend für alle seine musikalischen Abende stehen. Dirk Schäfer, der Schauspieler, Sänger, Autor und Theatermacher, hat sein Publikum in seiner Karriere mit unzähligen Bühnenmomenten zum Bersten gespannter Stille und tosender Ausbrüche in Bann gehalten. Umso mehr freut es uns, ihn in der kommenden Spielzeit in gleich drei Produktionen am Schauspiel Duisburg präsentieren zu können.

Los geht es am 11. November mit seinem furiosen „TangO.Und Piaf“. Im Februar folgt der Doppelpack „Hinter den Wölfen“ und „Der Tod und ein Mädchen“. Die Bandbreite der verhandelten Themen dieser drei musikalischen Abende könnte dabei unterschiedlicher kaum sein.


Schäfers Spiel mit den drei Urtypen des Tango – dem messerwetzenden, testosterongeladenen Compadrito, der verführerischen Milongita und dem an Leben und Liebe verzweifelnden Clown, dem Cocoliche – besticht vor allem auch durch seine gemeinsam mit Geneviève Granier-Nerlich intelligent ins Deutsch übertragenen Texte. „Nicht nur wegen der intelligenten Wortspiele, überraschenden Wendungen, der Fähigkeit, den Slang der melancholiegetränkten Gosse ins Hymnisch-Elegische zu steigern. Auch und gerade, weil die Piaf und der Tango damit mehr werden als der Tango und die Piaf, nämlich etwas allgemein Menschliches, trotz allen existenzialistischen Zeitkolorits Überzeitliches.“ (Wiesbadener Tagblatt) Zu Gehör kommen Klassiker wie „Padam, Padam", „Milord" und „L'accordéoniste". „Die sprichwörtliche Melancholie des Tangos dabei mit den Chansons der Piaf zu verbinden, den Dreivierteltakt des Weltschmerzwalzers mit den abgründigen Vierern der Milonga – auch das nennen wir jetzt einfach mal genial." (Kieler Nachrichten) Gekonnt changiert der Schauspieler zwischen „betrogenem Raben" und „König des Tango", verzehrt sich gemeinsam mit dem Publikum nach „Marie Christine". „Schäfer tritt hemdsärmelig auf, er moderiert nichts, jeden Übergang entwickelt er aus dem Text der Chansons und Couplets. Er singt, er spielt, er inszeniert die Lieder … Mal wirkt sein Gesang leise und sanft, dann steigert er sich schnell in alle möglichen Stimmvariationen von Greinen bis Grölen.“ (Norddeutsche Rundschau)

In „Dirk Schäfer: Hinter den Wölfen“ lässt uns der Schauspieler und Sänger dagegen ein Tier ganz neu kennenlernen, das mit so vielen Ängsten und Vorurteilen belegt ist wie kaum ein Zweites. Dabei kombiniert er eigene Texte und gemeinsam mit dem musikalischen Leiter Ferdinand von Seebach entwickelte Chansons mit so unterschiedlichen musikalischen Welten wie denen von Kate Bush, Astor Piazzolla und Robert Schumann. Auslöser für die Entwicklung dieses „dunkel schönen, mit großer Begeisterung aufgenommenen Liederabends“ (Kieler Nachrichten) war die seit einigen Jahren heftig und kontrovers diskutierte „Rückkehr der Wölfe“ nach Deutschland. „Ich möchte dem Publikum einen Einblick in die Welt dieses faszinierenden Tieres geben – jenseits aller Zuschreibungen“, so Schäfer. „Gleichzeitig reflektiert der Abend aber auch, was unser Umgang mit dem Wolf über uns selbst erzählt.“ Im Gespräch merkt man schnell, welch innige Bindung Dirk Schäfer zu den Wölfen und ihrem Schicksal durch seine lange Recherche aufgebaut hat. Er berichtet davon, wie der Wolf vor Jahrtausenden zum ersten Nutztier des Menschen geworden sei. Bald sei jedoch nur noch der aus dem Wolf gezüchtete Hund ein „bester Freund“ gewesen, während der in freier Wildbahn lebende Wolf zur Projektionsfläche von zutiefst menschlichen Ängsten vor dem „Fremden“ und dem „Bösen“ geworden sei. Dabei habe die Wildheit und Angriffslust, die etwa die deutschen Nationalsozialisten dem Wolf zugeschrieben hätten, um ihn sich quasi als Wappentier zu eigen zu machen, nichts mit dem echten Tier und seinen Lebensgewohnheiten zu tun. „Dieses Instrument würde ich der Nazi-Ideologie gerne wieder aus der Hand nehmen“, sagt Schäfer.

Bei den Recherchen zum Thema Wölfe und NS-Zeit stieß Dirk Schäfer auch auf seine totgeschwiegene Tante, die zu den mindestens 216.000 Menschen gehört, die dem nationalsozialistischen Euthanasieprogramm zum Opfer gefallen sind. Ihr Schicksal inspirierte ihn zu „Der Tod und ein Mädchen“, das im Oktober 2021 im Theater Duisburg Premiere feierte. Für diesen Liederabend, den Schäfer auch als „Heimreise“ in die eigene Familiengeschichte betrachtet, begab er sich auf eine intensive Spurensuche, vom Bundesarchiv bis zum Heimatort seiner Tante, sprach mit ihm zuvor unbekannten Verwandten. Langsam entwickelte sich so ein Bild ihres viel zu kurzen Lebens, das laut Akten im Jahr 1943 in der Gau-Heil- und Pflegeanstalt Wiesengrund in der Nähe von Pilsen endete – sie war damals gerade 15 Jahre alt. Neben sorgfältigen Recherchen sei für das Erzählen dieser Geschichte jedoch auch Vorstellungskraft und -bereitschaft immens gefragt, betont die Schauspielerin Ellen Dorn, die wie bereits bei „Dirk Schäfer – Hinter den Wölfen“ gemeinsam mit dem Schauspieler und Sänger für die Regie des Projekts verantwortlich zeichnet. Dabei gehe es nicht nur darum, die vielen Leerstellen im Leben des Mädchens zu füllen, sondern ganz besonders darum, eine geeignete und poetische Sprache und Erzählweise zu finden. „Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Schlagzeugerin Angela Frontera, die wir für diese Produktion gewinnen konnten“, so Schäfer. „Sie nimmt musikalisch die Perspektive meiner Tante ein, die die Welt vielleicht ganz anders wahrgenommen hat als wir.“

„Im Porträt: Dirk Schäfer" von Florian Götz erschien ursprünglich im Vorschauheft der Schauspiel-Saison 2021/22. Wir haben den Text für die Spielzeit 2023/24 überarbeitet.
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